Mittwoch, 17. Januar 2018

Mitternachtsweg von Benjamin Lebert

Der Autor von "Crazy" ist erwachsen geworden, über 15 Jahre sind vergangen, seit seinem Millionenbestseller. Sprachlich hat ein enormer Wandel stattgefunden, der "neue" Lebert ist stilsicher und ein großartiger Erzähler.
In "Mitternachtsweg" setzt sich Lebert mit der starken Anziehungskraft auseinander, dass das Meer auf die Menschen seit jeher ausübt. Gekonnt erzählt er eine Geschichte, die Spuk und Aberglaube miteinander verbindet.

Verschiedene Erzählstränge verbinden sich im Laufe des Buches und enden final auf dem "Mitternachtsweg". Der Weg den Liebende auf Sylt gehen um sich ihre Liebe zu beweisen. Eine gefährliche Tradition - im Mondlicht und bei Ebbe schreiten Paare zusammen über das Meer. Der junge Geschichtsstudent Johannes Kielland, stößt bei Recherchen auf eine Geschichte rund um den Mitternachtsweg. Als sich Helma Brandt, eine mysteriöse Frau mit ihren Geheimnissen, an ihn wendet, wird Kielland von einer unheilvollen Strömung erfasst. Der Sog zieht ihn in die Vergangenheit, bis in den Sommer 1939. Kielland erlebt am eigenen Leib, dass die Legende lebendiger ist, als er es sich jemals hätte vorstellen können.

Ob das Gute oder das Böse siegt, bleibt bis zum Schluss offen. Ist es Realität, Traum oder Aberglaube? Was ist im Sommer 1939 wirklich im Wattenmeer geschehen? Wer musste im Meer sterben und warum? Das heißt es in "Mitternachtsweg" herauszufinden. Wenn nur das Ende nicht so gewollt konstruiert gewesen wäre… Dennoch ein Buch, dass auch nach dem Lesen noch im Kopf herumspukt.


Hannah

Sonntag, 26. November 2017

Into the Water von Paula Hawkins / Hörbuch

Als Julia den Anruf ihrer Schwester Nel erhält und ihn einfach ignoriert, weiß sie noch nicht, dass dieser Anruf die letzte Möglichkeit sein wird, Nels Stimme zu hören. Nel wird kurz darauf leblos aus einem Fluss in Beckford, Northumberland geborgen. Genauer noch aus einer ganz besonderen Stelle dieses Flusses, dem sogenannten „Drowning Pool“. An dieser Stelle des Flusses starben bisher schon viele Frauen vor Nel, die Liste der Namen reicht bis in die vergangenen Jahrhunderte zurück.

Doch war es wirklich Selbstmord, der Julias Schwester hierher trieb? Und weshalb scheint es so, als hätte jeder in der kleinen Stadt Beckford ein eigenes dunkles Geheimnis, das mit dem „Drowning Pool“ in Verbindung steht? Nun muss sich Julia den Geistern ihrer Vergangenheit stellen, und an den Ort zurückkehren, der sie selbst mit so vielen negativen Erinnerungen konfrontieren wird. Julia weiß noch nicht, dass es hier nicht nur eine Wahrheit zu erfahren gilt, die sie selbst und ihr ganzes Leben verändern wird.

Zunächst einmal finde ich die Idee des Thrillers klasse. Diese mysteriöse und düstere Stimmung, die um die vielen Geschichten der ertrunkenen Frauen schwebt, welche ihr Leben in diesem Fluss ließen, gefiel mir sehr gut. Die Hintergründe, weshalb die Schicksale der Frauen so verliefen, sind allesamt packend und glaubwürdig und auch zum Teil sehr traurig. Leider war das Hauptproblem dieses Hörbuches jedoch der Aufbau dieser vielen verschiedenen Perspektiven, die der Leser hier erfährt. Viel zu viele Personen kommen hintereinander zu Wort, ohne dass man als Hörer überhaupt schon richtig in der Geschichte angekommen ist und die ganzen Personen auseinander halten kann. Dies sorgt für Verwirrung und verkompliziert die Handlung unnötigerweise.

Die Einteilung der Sprecher war mir leider ebenfalls lange ein Rätsel. Irgendwie habe ich oft nicht verstanden welche Person gerade erzählt, denn obwohl es drei unterschiedliche Sprecher gab, gab es natürlich viel mehr beteiligte Personen im Roman. Hauptsprecherin war Britta Steffenhagen, die wie ich finde, eine sagenhafte Erzählstimme und auch geniale unterschiedliche Betonungen drauf hat (sie hat mich an einigen Stellen sogar an die unglaubliche Stimme von Katharina Thalbach erinnert).


Die Auflösung des Ganzen war für mich in Ordnung, aber auch nichts allzu besonderes. Ich hatte auf eine schockierendere, noch weniger zu erwartende Lösung gehofft, nach all den Irrwegen, auf die die Autorin den Leser während der Geschichte führte.

Alles in allem gab es also einige Punkte, die ich sehr gut fand aber auch einige Dinge, die ich kritisieren muss. Demnach gibt es nur eine mittelgute Bewertung für einen mittelguten Thriller, der mir aber besser gefiel, als Paula Hawkins erster Roman „Girl on the Train“, da ich ihn einfach als atmosphärischer und spannender empfand.


Maren

ES von Stephen King

Nachdem ich ES nun nach 10 Jahren ein zweites Mal gelesen habe, kann ich mich nun wieder mit völliger Überzeugung in die vielen positiven Stimmen über dieses Buch einreihen, denn ich empfinde es einfach immer noch so: dieses Werk von Stephen King ist einfach genial!

Über die Handlung möchte ich in meiner Rezension gar nicht so viel schreiben, da man in vorangegangenen Rezensionen und auch durch das Remake des Filmes momentan genügen Möglichkeiten hat, diese nachzulesen. Vielmehr möchte ich meine Gedanken und Emotionen schildern, die mich beim erneuten Lesen umtrieben haben.

Zu aller erst: Es ist fast logisch, dass ein so umfangreiches Werk mit mittlerweile 1.536 Seiten (nach der Neuauflage wurden es tatsächlich ca. 200 mehr) nicht ohne Durststrecken, einem kräftigen Lesearm und gelegentlichen Zweifeln an der eigenen Ausdauer zu bewältigen ist. Trotzdem kann ich nicht behaupten, mich an irgendeiner Stelle des Buches jemals gelangweilt zu haben, auch wenn sich manche Stellen und Situationen wirklich in die Länge ziehen. Rückblickend ist diese Komplexität und Liebe zum Detail genau das, was aus einem kurzweiligen Gruselschocker ein Meisterwerk der Horrorliteratur macht und eben auch genau das, was Stephen King´s Erzählweise so einzigartig macht. King lässt einen nicht nur die Geschichte lesen und kurz mal in eine andere Welt hineinschnuppern, er lässt den Leser Teil davon werden, er lässt ihn hart arbeiten und sich durch die Masse an Information durchkämpfen, die er für ihn bereithält. Belohnt wird man schließlich damit, das man die beteiligten Charaktere wirklich zu kennen glaubt und sich am Ende des Romans kaum von ihnen verabschieden kann. Ich kann wirklich sagen, kaum ein anderes Buch hat mich eine Freundschaft zwischen Kindern so intensiv mitfühlen und miterleben lassen wie dieses. Kaum ein anderes Buch hat mich hinterher so leer wegen des Abschieds und gleichzeitig so erfüllt von dieser Geschichte zurückgelassen. Obwohl ich bei manchen heftigen Stellen mal wieder erkannt habe, wie dünnhäutig ich doch eigentlich bin, konnte ich gar nicht anders, als dieses Buch zu verschlingen, mit all seinem Horror und Schrecken, mit all seiner Liebe und Freundschaft und mit all seiner Weisheit und Erkenntnis, die es dem Leser geben kann.

Und lieber Mr. King, ich werde es wieder tun, das weiß ich genau! Vielleicht werde ich wieder 10 Jahre (oder auch 27 Jahre?) warten, oder einfach solange, bis ich den Großteil der Handlung einfach wieder vergessen habe, um mich der Geschichte von Derry wieder widmen zu können, ganz egal, irgendwann werde ich es wieder lesen wollen.

Und währenddessen freue ich mich auf so viele weitere Werke von King, die noch ungelesen in meinem Bücherregal auf mich warten und ebenfalls verschlungen werden wollen!


Maren

Montag, 16. Oktober 2017

Der Fremde im Palazzo d'Oro / Paul Theroux

Wir schreiben den Sommer 1962 und befinden uns im Süden Italiens. Die Stadt Taormina liegt an der Ostküste Siziliens, verfügt über eine idyllische Bucht, Berge und eine atemberaubende Aussicht auf den Vulkan Ätna. Es ist ein beliebter Touristenort, an dem auch schon D.H. Lawrence seine Texte schrieb. 

Gil Mariner, ein junger amerikanischer Student ist auf Wanderschaft und lernt in einem abgelegenen Hotel in Taormina ein faszinierendes Paar kennen. Beide, Mann und Frau, sind außerordentlich vornehm gekleidet - unser mittelloser Student ist auf unerklärliche Weise sofort fasziniert von der fremden, mystischen Frau. Er beschließt einige Tage im selben Hotel zu bleiben und äußert den bittersüßen Wunsch: "Ich will euer Leben leben".

Die Frau, eine deutsche Gräfin, wird von Gil auf Mitte Dreißig geschätzt. Sie erregt unter anderem sein Interesse weil sie trotz der Sommerhitze immer ihre Spitzenhandschuhe trägt. Der Mann, ein Arzt, unterbreitet Gil ein unmoralisches Angebot, dass dieser fasziniert annimmt. Ein heftiger Lustrausch aus Gier, Eroberung und Hingabe beginnt. Gil verstrickt sich in seine Sehnsüchte und Leidenschaften, die ihn gleichermaßen faszinieren und abstoßen, denn Griffin, die Gräfin mit den zwei Gesichtern, hütet ein unglaubliches Geheimnis.

"Der Fremde im Palazzo d'Oro" ist mehr als nur ein kurzer Sommerroman mit einem überraschenden Ende. Es geht um käufliche Liebe, Sinnlichkeit und Schönheit, ewige Jugend und am Rande auch um gesellschaftspolitische Themen der Nachkriegszeit. Die Darsteller entkleiden sich Stück für Stück für die Leser, sodass am Ende das Geheimnis gelüftet werden kann, warum die Gräfin immer ihre Spitzenhandschuhe anbehält.

Eine interessante Mischung aus psychologisch feinen Charakterstudien und imposanten Landschaftsbeschreibungen. Gewöhnungsbedürftig waren anfangs nur die detaillierten Beschreibungen des Liebesaktes, mit denen ich anhand der Beschreibung des Verlages überhaupt nicht gerechnet habe.  

Zum Schluss bleibt nur zu sagen: "In diesem Augenblick auf meinem Balkon hoch über Taormina, der voller Erwartung war, im Duft dieses sizilianischen Morgens, liebte ich mein Leben."


Hannah

Donnerstag, 5. Oktober 2017

Ich und die Menschen von Matt Haig

Wenn ich mich so zurückerinnere – an die letzten Bücher, die ich gelesen habe – weiß ich auf Anhieb nicht, wann ich zuletzt so oft herzhaft lachen musste, während meine Nase in einem Buch steckte. Das hat wieder mal richtig gut getan, kann ich sagen! Matt Haig schuf eine Geschichte voll von Vorurteilen, Klischees und negativen Meinungen über die Menschheit, die jedes Mal aber immer so treffend und witzig formuliert wurden, dass man als Leser gar nicht anders kann, als sich selbst und/oder andere Mitmenschen darin wiederzuentdecken und lauthals darüber lachen muss.

Und warum schreibt Haig das alles? Na vermutlich, um durch diesen doch leicht kritischen und belustigten Blick auf die Menschheit die schönen und wunderbaren und einzigartigen Seiten der Menschen und des Lebens aufzeigen zu können. Und das hat für mich auf jedenfall wunderbar funktioniert! „Ich und die Menschen“ zeigt uns, wie wir sind und was wir von all dem Verrückten, Wahnsinnigen und Bösen, was es auf der Welt gibt, lernen können um daraus das Beste zu machen und die schönen Dinge deutlicher sehen zu können.

Eine tolle und doch simple Idee von Haig, dies einfach durch einen „außerirdischen“ Blick auf uns zu schildern. Hoffentlich folgen noch mehr ähnlich witzige und weise Bücher von ihm!


Maren

Bis an die Grenze von Dave Eggers / Hörbuch

Eine Mutter, die mit ihren zwei Kindern auf der Flucht ist. Mitten hinein in die Weite Alaskas. Doch wovor flieht sie? Das und vieles mehr aus der Vergangenheit der kleinen Familie erfährt man erst im Laufe der Geschichte, jedoch habe ich immer noch das Gefühl, nicht all die Hintergründe zu wissen, die sie schließlich zu dieser Flucht gebracht haben.

Mit einem geliehenen Wohnmobil geht es los, ohne genau zu wissen wohin und wie lange die Reise gehen soll. Spannend erzählt Dave Eggers hier von einzelnen Situationen, die unerwartet eintreten. Von Waldbränden, die die kleine Familie zu verfolgen scheinen, von lüsternen Kerlen, seltsamen Begegnungen und der Gewalt der Natur. Keiner der drei ist vorbereitet auf ein solches Unterfangen und doch können Sie sich immer aus der Patsche helfen, vor allem dann, wenn alle drei zusammen halten.

Auch wenn Josie, die Mutter, nicht immer verantwortungsvoll reagiert und sich mancher Gefahr nicht bewusst ist, der sie ihre Kinder aussetzt, wirkt sie für mich doch sympathisch und vorallem menschlich. Paul, ihr größerer Sohn, beeindruckt hingegen mit einer Geistesgegenwart, die in seinem Alter selten anzutreffen ist. Seine kleine Schwester, Ana, ist einfach nur goldig mit der ihr verliehenem Gottvertrauen, mit dem Sie sich all diesen Situation stellt. Gemeinsam bilden sie für mich so eine Art „Drei Musketiere“ gegen den Rest der Welt. Eine beeindruckende Geschichte mit sehr menschlichen, verletzlichen und zugleich bärenstarken Protagonisten. Dave Eggers weiß, wie man erzählt und Julia Nachtmann, die Sprecherin des Hörbuches verleiht Josie eine wunderbar charakterstarke Stimme.

Nichts desto trotz habe ich zum Schluss ein wenig das Gefühl, etwas nicht ganz erfasst, nicht ganz begriffen zu haben – ich vermute stark, dass es daran lag nur das gekürzte Hörbuch gehört zu haben. Sobald ich die Gelegenheit dazu habe, werde ich den Roman lesen. Auch wenn viele Rezensenten kritisieren, der Roman sei langwierig, vermute ich, dass mir genau das gefehlt hat – ein bisschen mehr zu erfahren über Josie und ihre Vergangenheit und gerne auch ein bisschen mehr Zeit mit dieser schrägen Familie zu verbringen.


Maren

Herz auf Eis von Isabelle Autissier

Louise und Ludovic – ein Paar, wie es viele gibt. Beide noch jung und eloquent, dennoch bereits im Hamsterrad des Alltages gefangen und unzufrieden damit. Aus diesem Grund überredet Ludovic seine Partnerin ein Jahr Auszeit zu nehmen. Ein Sabbatjahr, aus dem sie gemeinsam ein Abenteuer machen wollen, damit sie, von den einmaligen Erlebnissen und Erfahrungen genährt, wieder frisch und belebt ins Pariser Alltagsleben einsteigen können. Sie entscheiden sich fürs Segeln, bereiten sich auch dementsprechend intensiv darauf vor. Alles scheint durchdacht und gut geplant – bis sie einen kleinen Fehler begehen, der verehrende Folgen annehmen wird.

Ein Abstecher auf eine Naturschutzinsel soll ein kleines, verbotenes Abenteuer werden, inmitten des großen Segelabenteuers. Ein Sturm entledigt sie jedoch von ihrem Boot und lässt sie zurück, auf einer Insel mitten im Südatlantik, ohne Vorräte oder andere überlebensnotwendige Ressourcen. Ein Szenario, welches man bereits aus sämtlichen Büchern, Serien und Filmen gewohnt ist. Jedes Mal wird es ähnlich aufgespannt, jedes Mal geht es ums nackte Überleben und die Frage: „Was würde ich machen, wäre ich in derselben Situation?“

Bei dieser Geschichte wirft die Autorin jedoch noch einen intensiveren Blick auf die menschliche Natur und ihre Instinkte. Wie verändert sich ein Mensch, wenn er einer solch ausweglosen Situation ausgeliefert ist? Wie verändert sich die Beziehung zweier Menschen, wenn es sich hierbei auch noch um ein Paar handelt? Ist die Liebe hier hinderlich oder noch viel stärker von Nöten als jemals davor? Wie verändern sich moralisches Denken und Empathie hinsichtlich der direkten aber schleichenden Lebensbedrohung? Und nicht zu vergessen: ist ein intelligenter Mensch des 21. Jahrhunderts überhaupt noch fähig, in der freien und unbarmherzigen Natur zu überleben, oder haben wir vielleicht sogar schon verlernt, was Generationen vor uns ohne Probleme und technische Hilfen alltäglich bewältigen mussten? Nahrung beschaffen, ein Unterschlupf bauen, Feuer machen, Bescheid wissen über Pflanzen, Tiere, Witterungen? Dies alles klingt in vielen dieser Robinson-Crusoe-Erzählungen meist relativ leicht oder wird gar nicht näher beschrieben, aber ist es das in Wirklichkeit auch?

Einige spannenden Fragen stellt die Autorin hier in den Raum und erzählt mit ihrer dichten, eindringlichen Erzählstimme eine spannende und eindrückliche Geschichte, die den Leser auch nach Beenden des Buchs noch lange nicht loslassen wird.


Maren