Donnerstag, 4. Mai 2017

Nordnordwest von Sylvain Coher

Drei junge Menschen, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Lucky, der Kleine und das Mädchen, diese drei Protagonisten begeben sich auf eine durch und durch waghalsige und kaum durchdachte Segelfahrt von Frankreich - Saint Malo nach England. Irgendwo an der englischen Küste hoffen sie anzukommen, ein bis zwei Tage, länger kann das ja nicht dauern. So simpel und machbar das im ersten Moment klingt, so fatal erscheinen die Folgen, die diese Reise mit sich bringen wird.

Drei Schicksale, von denen man zunächst nur wenig bis gar nichts erfährt, die Hintergründe bleiben also anonym, so anonym, dass es sich nicht zu lohnen scheint, zwei der Personen einen Namen zu geben. Diese jungen Leute könnten jeder sein, so oft gibt es hoffnungslose Geschichten, durch unglückliche Schicksale zusammengebastelt. Lucky scheint ein Anführer zu sein, ist älter als die anderen und gibt den Ton an. Er kommt schließlich auch auf die Idee, ein Segelboot in Saint Malo zu klauen und damit an die englische Küste zu segeln. Wie? Egal, Hauptsache weg von Frankreich. Es werden Vorbereitungen getroffen, die widererwarten durchdacht wirken, Hamstereinkäufe sollen den eventuellen Fall abdecken, doch länger als zwei Tage unterwegs sein zu müssen, doch so richtig schlimm kann das laut Lucky nicht werden, schließlich ist der Ärmelkanal auch nur ein Kanal. So naiv die Gedanken und Ideen der Jugendlichen manchmal klingen, so vernünftig wird dann doch geplant und so realistisch klingen ihre Vorstellungen. Als Leser schwankt man also ständig zwischen schrecklichen Vorahnungen und Zweifeln und der Hoffnung, dass es ja vielleicht doch klappen könnte, wieso eigentlich auch nicht? Das Mädchen versteht sogar was vom Segeln, da sie einen Großvater hatte, der es ihr beibrachte. Eventuell ein rettender Glückstreffer?

Sylvain Coher beschreibt mit einem so schlichten und knappen Erzählton eine dichte und atmosphärische Tragödie. Zunächst ist es anstrengend und schwierig dieser Sprache zu folgen, wörtliche Rede wird nicht gekennzeichnet, die Sätze folgen knapp und kurz aufeinander. Dies erschwert auch, eine Bindung zu den Protagonisten aufzubauen. Doch der Erzählstil lohnt sich. Die Handlung verdichtet sich im Laufe der Geschichte und die Stimme wird durch ihren kurzen, prägnanten Stil immer eindringlicher, passender zur einsamen und tristen Umgebung des Meeres. Coher schafft es, das man als Leser das Gefühl hat, selbst auf dieser Nussschale auf diesen unendlichen Weiten dahinzutreiben und allen Regeln und Gesetzen des Meeres ausgeliefert zu sein.
Das Meer zeigt in diesem Roman übrigens sowieso was es kann. Von allen Seiten lernt man es kennen, den schönen, den schrecklichen, den erbarmungslosen.

Ein wirklich toll geschriebener Roman mit einer sehr einprägsamen Geschichte die einen nach Beenden des Buches noch ein Weilchen verfolgen mag.

Maren

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